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Der Lokleitung-Adventskalender, Türchen 21 (1462 Klicks)

21. Dezember 2020 12:37
Hallo zum Türchen einundzwanzig unseres Adventska-Länder-s.


Heute sind wir in einem Land, das es nicht mehr gibt und in welches zu reisen auch gar nicht so einfach war. Zumindest nicht für einen Klassenfeind wie mich. Ich spreche natürlich von der Deutschen Demokratischen Republik, die natürlich deutlich weniger demokratisch war als es ihr Name aussagte.

Wo man täglich 25 Westmark Eintrittsgeld zahlen musste, wo aber so wichtige Dinge herstammten wie der Trabant und der Wartburg, der ABV, die Zetti-Knusperflocken mit eingearbeitetem Burger Knäckebrot, der Othello-Keks aus dem VEB Süßwarenfabrik Wikana, dem Betrieb der ausgezeichneten Qualitätsarbeit in der Lutherstadt Wittenberg. Der grüne Kräuterlikör ohne Namen aber mit viel Besäufnispotenzial, die Minol Karena-Limonade mit Orangengeschmack und Kohlendioxid.

Nicht zu vergessen der immer Wachsame Eduard von Schnitzler, Leutnant Vera Arndt, den Sandmann, der nach einem Straßenbahnbetrieb benannte Leutnant Woltersdorf und neben Oberleutnant Fuchs auch den Herrn Fuchs und die Frau Elster, aber auch der spätere Bundespräsident Joachim Gauck und die leider viel zu früh verstorbene Regine Hildebrandt.

Wo das Kleingeld aus Aluminium war, außer dem 20-Pfennig-Stück, weil Aluminium in den Fernsprechapparaten der Telefonzellen nicht schwer genug gewesen wäre und wo man für Rondo Melange Kaffee die kandierten Bohnen erfunden hatte, weil man damit mit weniger Kaffeebohnen die gleiche Menge Endprodukt herstellen konnte. Wo man zum Würzfleisch Worschestersoße gereicht bekam und wo auf den Rhabarber-Kiwi-Saft-Flaschen Apfelsaftetiketten waren, die man mit der Bildseite auf die Flasche geklebt und die weiße Seite mit Kugelschreiber beschriftet hatte.
Wichtig natürlich auch die hochwertigen Modellbahnprodukte aus dem VEB Modellspielwaren Pionierkonstruktion.





Wie schon erwähnt, es war nicht ganz leicht, in dieses Land zu kommen.
Das wusste auch der Sprayer, der auf der Westseite Berlins am Brandenburger Tor dieses Schild ergänzt hatte (22. Oktober 1982):






Am einfachsten war noch ein Visum für Berlin, Hauptstadt der DDR, welches man relativ unbürokratisch an den Grenzübergangsstellen erhalten konnte. Erstmals kam ich im Oktober 1982 im Transit per Bahn durch die DDR. Auf der Hinfahrt hatte ich mich nicht wirklich getraut, Fotos zu machen, möglicherweise wartete ja die Stasi nur darauf, einen unbedarften Eisenbahnfan festnehmen zu können.

Aber am 21. Oktober 1982 einmal im hauptstädtischen Teil Berlins angekommen, habe ich mich dann doch getraut, ganze zwei Straßenbahnbilder zu machen. Im Westen Berlins gab es ja keine Straßenbahn. Dafür hier aber sogar Zweiachser. Reko-Zug mit 217 301 irgendwo in der Innenstadt - ich habe mir damals keine Notizen zum Aufnahmeort gemacht. Vielleicht kann ja jemand das Bild verorten. Der Triebwagen wurde durch die BVG im Jahr 1992 noch zu 3301 umgezeichnet und ging 1994 außer Dienst:






Kurz darauf machte ich noch ein Bild des für mich extrem modern aussehenden Zuges aus zwei relativ eckigen Vierachsern. Ich hab zufällig die beiden ersten Serien-KT4D mit den Nummern 219 002 und 219 001 erwischt. Der als zweiter Wagen laufende 219 001 wurde 1975 gebaut und 1985 zum Fahrschulwagen 724 002 umgezeichnet, bei der BVG hieß er 4562, ehe er 1997 nach Oradea in Rumänien abgegeben wurde und dort unter der Nummer 230 bis 2013 im Einsatz stand. Der vorne laufende 219 002 hatte dasselbe Schicksal - ab 1985 Fahrschulwagen 724 003, BVG-Nummer 4563, 1997 nach Oradea, dort Einsatz bis 2013 unter der Nummer 231:






Auf der Rückfahrt am 23.Oktober 1982 habe ich dann doch einige Bilder auf dem Transit durch die DDR gemacht. Mangels eines hochempfindlichen Films sind die meisten davon keine Meisterwerke geworden, man betrachte sie bitte nur als Zeitdokumente ohne hohen fotografischen Anspruch. Immerhin wusste ich nicht, wann ich denn diese doch für mich sehr fremde Welt je wiedersehen würde.

Die 250 104 und eine unerkannte 244 im Rangierdienst habe ich zusammen auf ein Bild bekommen. 250 104 wurde im August 1979 beim Bw Erfurt in Dienst gestellt und nach einem Unfall im Dezember 2014 im Januar 2015 abgestellt und im September des gleichen Jahres verschrottet. Mein Tipp für die Örtlichkeit wäre Weißenfels:






Der Transitschnellzug durfte nicht außerplanmäßig anhalten, und so wurden häufig andere Züge für die Durchfahrt unseres Zuges auf die Seite gestellt. Die 242 148 des Bw Erfurt trug 1982 noch die ursprüngliche, grüne Farbgebung. Sie wurde 1968 gebaut und blieb bis September 1993 im Dienst. Verschrottet wurde sie im März 1994 im RAW Meiningen:






Eigentlich hätte ich dieses Bild dem Güterbahnhof Seddin zugeschrieben. Die abgebildete 120 189 war 1982 aber eine Lok des Bw Eisenach, was mich an Seddin wieder zweifeln lässt. Die Lok wurde im März 1969 abgeliefert, im November 1990 abgestellt und im Juni 1991 in Dresden verschrottet.

Edit: Bei genauerem Hinsehen auf das Bild in Originalauflösung ist zu erkennen, dass das nicht 120 189, sondern 120 183-9 ist, eine Lok des Bw Roßlau. Abgenommen im April 1969 und abgestellt im November 1991. Damit passt das Bild wieder zu Seddin

Rechts im Bild ist einer der schon damals seltenen Säuretopfwagen zu erkennen:







Die 118 279 gehörte im Oktober zum Bw Halle P, und dies könnte durchaus das nördliche Gleisvorfeld des Hallenser Hauptbahnhofs sein. Sie wurde im Dezember 1967 an das Bw Karl-Marx-Stadt abgeleifert und im Dezember 1989 nach Remotorisierung zur 118 679 umgezeichnet. Sie beendete ihre Karriere im September 1992 beim Bw Güstrow und wurde 1994 im RAW Chemnitz verschrottet:






Am 18. August 1983 fuhr ich noch einmal im Transit von Bebra nach Berlin. Dieses Mal war ich gut vorbereitet und hatte einen Fuji RH 400-Diafilm in die Kamera eingelegt, der zumindest um eine oder zwei Stufen bessere Verschlusszeiten ermöglichte.

In Naumburg kam es mit 106 153 unter dem Banner des Marxismus-Leninismus zu neuen Erfolgen für Frieden und Sozialismus. Die 1964 von LKM gebaute Lok blieb bis Ende 1993 im Dienst:






Relativ leicht lässt sich dieses Bild zuordnen, da mir kurzfristig ein Bahnhofsschild vor die Kamera gehüpft ist. Die 119 094 wurde am 24. März 1982 an das Bw Halle G abgeliefert und nach einem Brandschaden schon am 27. September 1989 von der Ausbesserung zurückgestellt und im August 1990 zerlegt.







Das Bild der beiden E44 zeigt zweifellos das Bw Halle G. Identifizierbar ist nur die 244 148, die zweite Lok bleibt unerkannt. Die 244 148 wurde im September 1942 an das Bw Leipzig-Wahren abgeliefert und musste im September 1946 als Reparationslieferung in die Sowjetunion abgegeben werden. Von dort kehrte sie 1952 in die DDR zurück und wurde von der Reichsbahn wieder betriebsfähig aufgearbeitet. Im Dezember 1991 wurde sie abgestellt, sofern meine Infos stimmen rostet sie heute im Dampflokmuseum Hermeskeil vor sich hin.

Interessant ist auch der rote Wagen im Hintergrund. Es müsste sich um einen Wagen des ET 25 201 handeln. Nach dem Zweiten Weltkrieg verblieben einige Gleichstromtriebwagen der holländischen Baureihe Mat 36 auf dem Gebiet der DDR. Daraus baute die Reichsbahn bis 1965 einen vierteiligen Triebwagen für Wechselstrombetrieb um und reihte ihn als ET 25 201 ein. Er wurde 1970 noch in 285 201-204 umgezeichnet, aber schon 1971 ausgemustert. Bei der Verschrottung 1976 blieb einer der Kopfwagen übrig und stand in Halle oder Leipzig herum und wurde dann 2005 endgültig verschrottet:






Am 27. Juni 1987 unternahm eine kleine Reisegruppe us dem Rhein-Neckar-Gebiet von Westberlin kommend noch einmal einen Tagesausflug in die Hauptstadt der DDR. Von den dortigen Straßenbahnfans wurde uns einiges geboten, beispielsweise ein Besuch des Tages der offenen Tür im Betriebshof Marzahn, aber auch eine exklusive Sonderfahrt mit einem vierachsigen Gotha-TDE-Großraumwagen. Die Strecke Linie 84 nach Altglienicke am Falkenberg wurde am 1. Januar 1993 stillgelegt und die Gleise weitgehend entfernt. In Altglienicke Kirche kommt ein dreiteiliger Rekozug mit Triebwagen 217 293 dem Sonderzug entgegen. Auch dieser Triebwagen wurde 1994 ausgemustert:


Einundzwanzig Jahre nach Stilllegung der Strab sah die Stelle der Aufnahme übrigens so aus: Bild inGoogle StreetView von 2008





Für den April 1988 hatten wir eine Einladung zur Einreise in die DDR nach Memleben bei Artern erhalten. Von dort aus ging's am 16. April 1988 mit dem Ikarus nach Nordhausen. Am Bahnhof Eisfelder Talmühle wollten wir in die Selketalbahn umsteigen. Auf dem Weg zwischen Nordhausen und Eisfelder Talmühle überholten wir einen Güterzug mit normalspurigen E-Wagen auf Rollwagen, der mit zwei 99.72 in Doppeltraktion bespannt war...






...eine davon war die 1955 gebaute und heute noch betriebsfähige 99 7236:






Bei Mägdesprung gab es dann eine kurzzeitige Fahrtunterbrechung. Unser mit der Mallet 99 5906 bespannter Zug setzte zurück und mit dem Kesselspeisewasser wurde erstmal ein kleiner Böschungsbrand gelöscht. Die 1918 gebaute Mallet hat in Meiningen vor zwei Jahren eine neue Hauptuntersuchung erhalten und ist ebenfalls weiter betriebsfähig:






Tags darauf waren wir per Bahn nach Leipzig unterwegs. Beim Umsteigen in Halle Hbf kam mir dieser durchgängig aus grün/cremefarbenen Wagen gebildete Schnellzug vor die Kamera. Die 1975 gebaute 132 239 wurde 2005 ausgemustert, kam unter der Nummer 314 zur MEG und gehört seit 2016 dem Erfurter Bahnservice:






Der heutige Goerdelerring in Leipzig hieß damals noch Friedrich-Engels-Platz. Darüber hinweg führte eine Fußgängerbrücke, die man aufgrund ihrer Farbe "Blaues Wunder" nannte und die im Gegensatz zur Dresdener Brücke gleichen Namens heute längst abgerissen ist. Unterhalb gab es eine eindrucksvolle Tatra-T3-Parade. Die Getriebe der Tatras haben ihre typischen Ölspuren auf den Gleisanlagen hinterlassen:






Letzter Tag in der DDR im April 1988 war der 18.4. In der Erfurter Karl-Marx-Allee begegnete mir dieser eindrucksvolle Ikarus:






Mein letzter Besuch der DDR vor der sogenannten "Wende" fand auf Einladung aus Annaberg-Buchholz im Juni 1989 statt. Unsere Gastgeber hatten eine Fahrt mit der Dresdener Stadtrundfahrt-Straßenbahn eingeplant. Am Postplatz warteten am 3. Juni 1989 einige Tatras auf Einsätze, die Stadtrundfahrt-Bahn ist der Großzug mit der blauen Bauchbinde:






Mein letztes Bild soll das aus einer verschwundenen Stadt sein. Wer heute den Namen Karl-Marx-Stadt auf einer aktuellen Karte sucht, wird ihn nicht mehr finden, die historische Bezeichnung wurde gegen die noch historischere "Chemnitz" ausgetauscht. Am 4.Juni 1989 rangierte noch die 106 940 im Hauptbahnhof von Karl-Marx-Stadt. Die Lok wurde 1975 gebaut, Anfang 1991 zur Baureihe 104 remotorisiert und trotzdem schon am 26. März 1999 unter der Nummer 344 940 abgestellt:



Als ich die DDR wieder besuchte, war der Umbruch zum Kapitalismus in vollem Gange.

Mit freundlichen Grüßen
Ralph Dißinger a.k.a. Lokleitung




6-mal bearbeitet. Zuletzt am 21.12.20 16:49.
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Lokleitung 21. Dezember 2020 12:37

Re: Der Lokleitung-Adventskalender, Türchen 21 (607 Klicks)

Sandhase 21. Dezember 2020 15:15

Re: Der Lokleitung-Adventskalender, Türchen 21 (571 Klicks)

Erbsenzähler89 21. Dezember 2020 17:00



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