Willkommen! » Anmelden » Ein neues Profil erzeugen » Neueste Beiträge

Die PCC von der F-Line, 1007 (830 Klicks)

22. September 2021 18:21
Moin.
Bevor hier die Langeweile ausbricht, hier einige Bilder von den PCC der F-Line in San Francisco, wie sie mir 2007 vor die Linse fuhren, in numerischer Reihenfolge.
Beginnen wir mit 1007: [www.streetcar.org]










Der PCC- Großvater der heutigen modernen Straßenbahnen, der Einsatz in San Francisco und die weitere Entwicklung.

In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts standen die großen amerikanischen Straßenbahngesellschaften vor dem Problem, der damals schon starken Automobilkonkurrenz etwas entgegensetzen zu müssen. Die zu dieser Zeit eingesetzten Fahrzeuge stammten zum Großteil noch aus den Anfangszeiten der Straßenbahn, waren langsam und in der Unterhaltung teuer sowie nur in mindestens zweiköpfiger Besatzung einsetzbar.
Einige Präsidenten der bedeutendsten Gesellschaften ermittelten gemeinsam aus den zugrundeliegenden Betriebsbedingungen und Erfahrungen einen neuartigen Wagentyp der universell einsetzbar war und die Wirtschaftlichkeit steigern sollte.
So entstand nach jahrelanger Planung der sogenannte „PCC“-Wagen. PCC bedeutet: Presidents Conference Commitee. Dieser Fahrzeugtyp brach mit allen bisherigen Konstruktionen, in wagenbaulicher wie in elektrischer Hinsicht.
Eine selbsttragende Leichtmetallkarosserie, vier schnellaufende Motoren mit Kardanantrieb, leichte elastische Drehgestelle (für den teilweise sehr schlechten Unterbau) und ein pedalbedienter, stufenloser Fahrschalter waren die herausragenden Merkmale. Trotz weitgehender Vereinheitlichung der Konstruktion gab es sehr viele unterschiedliche Ausführungen, von denen einige genannt werden sollen:
Ein- und Zweirichtungsfahrzeuge,
unterschiedliche Fahrzeugbreiten, und -längen,
Einfach- oder Mehrfachtraktionsfähig,
unterschiedliche Türanzahl und- breite,
mit Schaffnerplatz oder ohne,
Pedal-, Hebel-, oder Kurbelbedienung,
mit Druckluftanlage oder ohne.
Bei aller Unterschiedlichkeit blieben aber die Grundprinzipien der Fahrzeugkonstruktion stets gleich.

Viele Verkehrsgesellschaften beschafften diesen Wagentyp und paßten ihn ihre Betriebsbedingungen an. Leider gelang es nur wenigen Betrieben, mit den PCC den völligen Niedergang der Straßenbahnen zu verhindern. Bestenfalls wurde er damit verlangsamt. Mit den Stillegungen setzte ein schwunghafter Gebrauchtwagenhandel mit den teilweise nur wenige Jahre alten Fahrzeugen ein so daß es oft in den übernehmenden Großbetrieben zu unterschiedlichen Fahrzeugtypen kam womit die Kostenersparnis durch die nötigen Anpassungen wieder in den Hintergrund trat.
Die wenigen Betriebe die die Stillegungswellen letztendlich überlebten nutzten ausschließlich die PCC Wagen weiter, in erster Linie mangels eines entsprechenden Angebotes der amerikanischen Fahrzeugindustrie. Philadelphia begann in den 70er Jahren ein weitreichendes Modernisierungsprogramm der Fahrzeuge, wobei größtenteils die robuste Elektrik wieder aufgearbeitet werden konnte und beim Wiederaufbau der Wagenkästen moderne Kunststoffformteile zum Einsatz kamen.
Auf Dauer gesehen konnte dieser Zustand jedoch nicht aufrechterhalten werden da die Fahrzeuge teilweise schon über 50 Jahre im Dienst standen und bei vielen Betrieben, die zwar die prinzipielle Beibehaltung der Straßenbahn und den Ausbau zur Stadtbahn beschlossen hatten, eine Weiterführung mit den PCC nicht möglich erschien.
Die verbliebenen Betriebe sahen sich auf dem Markt um und streckten ihre Fühler u.a. nach Deutschland aus, damals als weltführend auf dem Gebiet moderner Stadtbahnwagen bekannt. Das sogenannte „Buy American“-Gesetz machte diese Pläne jedoch zunichte, die US-Regierung bezuschusste nur den Kauf „heimischer“ Produkte.
Nur gab es leider auf dem US-Markt keinen erfahrenen Hersteller für moderne Stadtbahnwagen mehr.
Was war nun naheliegender, als das Rad neu zu erfinden? BOEING, bisher eher weniger durch den Straßenbahnbau bekannt, versuchte sich daran. Ein durch den verlorenen Vietnamkrieg nur mäßig ausgelastetes Hubschrauberwerk wurde praktischerweise zur Straßenbahnfabrik umgebaut.
Boeing Vertol ist seit 1960 eine eigene Abteilung von Boeing. Die früher(TM)e Vertol Aircraft Corporation ging aus der Firma Piasecki Helicopter Corporation hervor und hat ihren Sitz in Morton, Pennsylvania.
Daß sowas eigentlich schiefgehen mußte hat damals wohl niemand wahrhaben wollen. Siehe [de.wikipedia.org]
Boston und San Francisco griffen zu, da dort aufgrund der Netzgröße und den Ausbauplänen neue Fahrzeuge dringend benötigt wurden. Boston hatte nach den ersten Erfahrungen mit den LRVs jedoch von einer weiteren Bestellung Abstand genommen und so wurden die 50 für Boston bestimmten Fahrzeuge nach San Francisco geliefert wo sie im milderen Klima bessere Einsatzbedingungen vorfanden. Boston hingegen modernisierte die verbliebenen PCCs...
Mit der Ablieferung der letzten BOEING-LRVs nach San Francisco sowie dem Ausbau der dortigen Stadtbahn zur „MUNI-Metro“ schien das Einsatzende der PCC dort absehbar zu sein.
In weiser Voraussicht hatte man dort jedoch die oberirdischen Gleise auf der Market Street beibehalten, hautptsächlich für eventuelle Umleitungen im Störungsfall auf der parallel verlaufenden unterirdischen Strecke.
Da in den Jahren 1982-1984 die Cable Car Strecken vollständig erneuert wurden fürchtete man einen starken Einbruch der Touristenzahlen, und eine „Ersatzattraktion“ mußte her. Die Idee zur „Historic Trolley Line“ wurde geboren. Die verbliebenen PCC wurden technisch überholt und in den Farben der Betriebe lackiert die früher(TM) einmal diese Fahrzeuge nutzten, jedoch meist unabhängig davon ob das in SF fahrende Fahrzeug jemals dort im Einsatz gewesen war. Dies tat dem Erfolg der Veranstaltung jedoch keinen Abbruch und aufgrund des enormen Zuspruchs wurde die „F-Line“ auch nach der Wiederinbetriebnahme der Cable Cars beibehalten und ist heute aus dem Stadtbild von SF nicht mehr wegzudenken. Eingebunden in den normalen Tarif der MUNI sind die Fahrzeuge immer sehr stark ausgelastet. Weitere, gut eingepackte PCC stehen übrigens im Hafengebiet von SF in Wartestellung! Dank der Erweiterung der Strecke durch einen Neubau(!) nach „Fishermans Wharf“ und der Neugestaltung des „Ferry Buildings“ wurde der Fahrgastandrang und die Popularität der Strecke so groß daß man die Überlegung hatte, zusätzlich zu den PCC historische Oldtimer aus der ganzen Welt auf der „F-Line“ einzusetzen. So finden sich dort inzwischen Fahrzeuge u.a. aus Mailand, Melbourne, Porto, Brüssel... Nur mit den nötigsten Mitteln (Weichensteuerung, Funk, Türsteuerung) an die Bedingungen in SF angepaßt sind die Fahrzeuge bis auf die Linie N und den Market Street Tunnel auf dem gesamten Netz einsetzbar.
Die BOEING-LRVs sind inzwischen übrigens, im Gegensatz zu den PCC Wagen, in San Francisco wie auch in Boston bereits Geschichte und zumindest in San Francisco durch italienische BREDA-LRVs ersetzt worden. In San Francisco wurden zwei BOEING-LRVs bis vor wenigen Jahren aufbewahrt,





inzwischen sind diese Fahrzeuge aber auch schon verschrottet worden.. Man hat mir bei meinem Besuch damals sinngemäß gesagt, daß man sich lieber uralte, dafür betriebsfähige Museumsfahrzeuge, leiste, als sich nie richtig funktionierende Elektronikschrotthaufen, hinstellt. Die BREDAs werden inzwischen auch durch doch wesentlich zuverlässigere LRVs von Siemens ersetzt. Die italienischen Fahrzeuge waren wohl auch nicht das Gelbe vom Ei, ein Kollege sagte mir 2007: „The BOEINGS were shit, the BREDAs are shit. We want the BOEINGs back..!“ Das läßt wohl tief blicken.

Zurück zu den PCC:
Die Entwicklung des PCC in den USA hatte auf Europa zunächst keinen direkten Einfluß da man hier völlig andere Einsatz- und Betriebsbedingungen hatte. Lediglich Italien, wo schon in den 20er Jahren Fahrzeuge nach amerikanischem Vorbild eingesetzt wurden (von denen inzwischen einige in San Francisco fahren), bot ähnliche Möglichkeiten für den PCC. Zu einer Bestellung kam es jedoch nicht.
Es gab nach dem 2. Weltkrieg nur vereinzelte Lieferungen von PCC-ähnlichen Fahrzeugen, hauptsächlich an Betriebe die schon lange einzelfahrende Vierachser einsetzten, wie z.B. in Belgien, den Niederlanden und Italien. Dort wurden importierte Drehgestelle und Steuerungen mit im eigenen Land hergestellten Wagenkästen kombiniert, deshalb ähneln z.B. die belgischen und italienischen „PCC“ den Originalen nur leicht. In Deutschland kam überhaupt nur ein einziger PCC-Wagen, ein in Belgien von „La Brugeoise“ in Lizenz gebautes Fahrzeug, zum Einsatz. Hamburg bestellte diesen Wagen im Anschluß an eine Serie für Brüssel, konnte sich jedoch aufgrund der doch völlig abweichenden Technik und der Fahrzeuggeometrie, die teilweise ausgiebige Gleisumbauten bedingt hätte, nicht zu einer weiteren Bestellung entschließen. Der Wagen wurde nach dem Einsatz in Hamburg nach Kopenhagen abgegeben, dort kam man zu den gleichen Ergebnissen wie Hamburg. Letztendlich landete der Wagen in Brüssel und kam dort mit den anderen PCC in Einsatz. Inzwischen wurde dieser Wagen wieder in den Hamburger Originalzustand versetzt und verkehrt als Dauerleihgabe des VVM im dänischen Straßenbahnmuseum.


Die weitere „Karriere“ des PCC, bzw. der PCC-Technik war von den Konstrukteuren sicher nicht absehbar:
Die tschechische Firma CKD-Tatra in Prag erwarb die Lizenzen für den Bau des PCC und schuf in kurzer Zeit eine „Fahrzeugfamilie“, die nach vielen Weiterentwicklungen heute das „Einheitsfahrzeug“ nahezu des gesamten osteuropäischen und russischen Raumes ist! Dies lag wohl daran, daß sich die Einsatzbedingungen in den USA der 20er und 30er Jahre nicht wesentlich von denen in Osteuropa bzw. der Sowjetunion unterschieden: Höchste Belastungen durch starken Fahrgastverkehr, zusammen mit schlechter Gleislage. Anfänglich war selbst der Wagenkasten nur leicht unterschiedlich gestaltet, wobei jedoch die Drehgestellkonstruktion und auch die Steuerung mit dem pedalbedienten „Accelerator“ über Jahrzehnte prinzipiell beibehalten wurde. Abgesehen vom Wagenkasten und leichten elektrischen Abänderungen sind die „klassischen“ T4D und T3D sowie die sog. „Kurzgelenkwagen“ vom Typ „Kt4D“, die in vielen Städten der ehem. DDR im Einsatz sind bzw. waren, bis auf die Gelenkkonstruktion mechanisch und elektrisch mit dem PCC identisch! In den 80er Jahren begannen erste Modernisierungen, elektronische Steuerungen mit Thyristortechnik lösten die „Beschleuniger“, die übrigens aufgrund der ausschließlich angewandten Parallelschaltung einen enormen Stromverbrauch verursachten, ab.
Mit dem Zusammenbruch des Kommunismus brach für TATRA der Markt weg.
Eine beispielslose technische Erfolgsgeschichte fand hiermit einen Abschluß.
Der PCC wurde somit, wenn man alle Abwandlungen mit einrechnet, zum meistgebauten Straßenbahnwagen der Welt!

In San Francisco wird diesem Fahrzeugtyp so ein würdiges Denkmal gesetzt.

[fingers-welt.de] happy shouting smiley <--- BITTE BEACHTEN! Bilder vom Treffen 2021 sind jetzt anschnur!

An Röhren kann man sehen, wenn sie gehen. Und auch riechen, wenn sie siechen.



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 22.09.21 18:52.
Thema Autor Datum/Zeit

» Die PCC von der F-Line, 1007 (830 Klicks)

H.F.,eh. F. 22. September 2021 18:21

Re: Die PCC von der F-Line, 1007 (419 Klicks)

Tw237 27. September 2021 09:13

Re: Die PCC von der F-Line, 1007 (331 Klicks)

H.F.,eh. F. 27. September 2021 20:02



In diesem Forum dürfen leider nur registrierte Teilnehmer schreiben.

Klicke hier, um Dich einzuloggen