Endzeitstimmung in Mülheim (Teil 1 von 3, 23 Bilder) (1666 Klicks)

Schon seit längerem hatte ich beschlossen, den Straßenbahnen der Stadt Mülheim mal einen Besuch abzustatten. Nachdem der Termin mehrfach verschoben wurde war es dann am 23. Februar dieses Jahres soweit.

Einst kannte ich Mülheim als kleinen, gepflegten Betrieb, wo es Düwag-Sechsachser und sogart Vierachser mit Einholmstromabnehmern und moderner Simatic-Steuerung gab, und wo die Wagen so glänzten, dass man zur relativ schmutzanfälligen Farbgebung in beige selbst die Dächer in beige lackiert hatte. Und auch die Wagen in der damals neuen, attraktiven gelb/schwarzen Farbgebung glänzten immer wie aus dem Ei gepellt. Nun, das ist 25 Jahre her. Und wie ich aus DSO wusste, haben sich die Zeiten dort geändert.

Ich reiste mit dem IC 60478, der um 2:48 Uhr Mannheim verlässt, an. Es handelte sich um ganze zwei Interrregiowagen am City-Night-Line 478. Mit 20 Minuten Verspätung erreichte der Zug den Duisburger Hauptbahnhof um 6:45 Uhr. Hier sollte der IC eigentlich enden, und es wurden auch alle Fahrgäste freundlich gebeten, die Sitzwagen zu verlassen, da in Duisburg Endstation sei. Die Wagen blieben aber am Zug, der fuhr weiter nach Amsterdam. Vermutlich wurden sie erst in Emmerich beim Lokwechsel abgehängt. Ein kleines Beweisbild der 120 154 entstand noch in Duisburg...



Der aktuelle Wagenpark der Mülheimer Strab (ohne die Wagen für die breitspurige U18) ist ein bunt durcheinandergewürfeltes Sammelsurium, überwiegend aus verschiedenen M-Wagen-Typen, und zwar

4 M6S (ex Bochum), erst 2011 gebraucht gekauft, aber schon einer abgestellt
1 M8S
6 M8C, davon einer abgestellt
4 M6C-NF mit EEF-Niederflur-Mittelteil
1 M6D-NF mit EEF-Niederflur-Mittelteil
10 M6D, davon zwei abgestellt
4 MGT6D, davon zwei abgestellt

Dazu kommen noch 6 MGT6D der Stadtwerke Oberhausen (einer abgestellt), die mit den Mülheimer Wagen auf der Linie 112 im Pool eingesetzt werden.



Mit einem RE fuhr ich nach Mülheim weiter. Ich kaufte mir eine Tageskarte und ging runter in den Tunnel. Hier Endet die 901 aus Duisburg und die U18 aus Essen...



...aber ich setzte mich in die Strab - es kam der M8C 272. Man sagt ja, dass der erste Eindruck entscheidend sei. Und der erste Eindruck war vernichtend - gammelige, abgewetzte Sitzpolster mit Graffiti und Brandlöchern und zerkratzte Scheiben bestimmten das Bild.



Ich fuhr mit dem Wagen auf der Linie 102 bis zur Endstation Uhlenbuschhorst, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen. Äußerlich sah er ganz okay aus:



Die 102 fährt im 10-Minuten-Takt, und so ging ich zu Fuß ein wenig stadteinwärts, um dien nächsten Zug zu fotografieren. Die zehn Minuten dauerten zwanzig, denn man hatte offenbar einen ganzen Umlauf ausfallen lassen. Auf den Anzeigern in der Innenstadt hieß es lapidar "auf den Linien 102 und 104 kommt es zu Fahrtausfällen, wir bitten um Verständnis". Für kurze Ausfälle hätte ich das ja, aber ohne Begründung sieht's schon blöd aus. Und der fehlende Umlauf war auch am Nachmittag noch nicht besetzt. Dafür habe ich kein Verständnis.


Irgendwann kam dann der blaue 274, der vermutlich mal eine Ganzreklame getragen hatte, und bei dem man vergessen hatte, dem Werbetreibenden die Neulackierung aufzuerlegen:



Ein Blick in der Gegenrichtung zeigt uns eine sensationelle Mülheimer Erfindung. Auf das Wagenteil mit dem Stromabnehmer hat man einen kleinen Blechstreifen aufs Dach geschweißt, damit der Siff vom Kohleabrieb nicht über die Stirnfront, sondern seitlich runterläuft. Anderswo wäscht man die Fahrzeuge gelegentlich:



An der Haltestelle Waldschlösschen treffen wir den Drehstromwagen 290, der traditionell mit Zielbändern ausgestattet ist. Weniger traditionell scheint sie niemand mehr zu reparieren, so dass man kleine Vorsteckschildchen benutzt:



Einige Haltestellen befinden sich in Mittellage zwischen den beiden Richtungsgleisen; als nächster kommt mit dem Wagen 275 mal wieder ein M8 mit Gleichstromchopper:



Stadteinwärts fährt hier eines der Hängebauchschweine - der 281 wurde im Jahr 2001 in Mittenwalde mit einem Niederflur-Mittelteil nachgerüstet. Das Mittelteil läuft auf EEF und die Wagen haben das gleiche nickende Fahrverhalten, wie ich es schon von den entsprechenden Tatra-Umbauten kannte:



Nun kam auch der 272 wieder zurück, so dass ich die komplette Linie einmal gesehen hatte:



In einem Buchladen nebenan entdeckte ich diese Bauernregel:



Ich lief weiter bis zu dem Abzweig, wo sich die Linie 102 und die Duisburger Regelpurlinie 901 trennen. Perverserweise sind die Duisburger CDU-Wagen, trotz Breitspur, zehn Zentimeter schmaler als die Mülheimer Meterspurfahrzeuge, und so musste man die Strecke als Vierschienengleis bauen, damit es an den Bahnsteigen wieder passt. Der Wagen 1032 der DVG hat gerade den Tunnel verlassen und strebt seiner Heimatstadt entgegen:



Der Betriebshof der MVG ist gleich nebenan, er befindet sich in einer gigantischen Halle des aufgelassenen DB-Ausbesserungswerk Mülheim-Speldorf. Aber Vorsicht bei Fotografierversuchen, offenbar werden hier regelmäßig Elefanten Gassi geführt - Stuhl allerorten. Aber es gab eh nix zu sehen:



Ich fuhr weiter bis Mülheim Stadtmitte, eine Station, die man während des in NRW grassierenden Stadtbahnwahns in den Tunnel verlegt hat, wo aber auch oberirdisch noch Straßenbahnen fahren. Im Zugang zeigt sich die moderne Architektur von ihrer schönsten Seite:



Längst war es Zeit geworden, ein Frühstück einzunehmen. Beim zentral an der Stadtmitte gelegenen türkischen Café gibts das für unter vier Euro, und lecker war's auch. Allerdings musste ich hier wieder mal einige Sprachhindernisse überwinden. (Nein, nicht türkisch, sondern das, was man im Allgemeinen "deutsch" nennt). Als die Bedienung mir sagte "Sie können das gleich bezahlen" wollte ich gleich bezahlen. Sie wiederholte ihren Satz, aber "Sie können das gleich bezahlen, essen Sie erst mal". Ja was denn nun, gleich bezahlen oder erst essen und dann später bezahlen? Irgendwie fühlte ich mich als Ausländer....



Frisch gestärkt machte ich einige oberirdische Bilder an der Stadtmitte, mit dem Drehstrom-M6 291...



...und den sich kreuzenden, derzeit einzigen betriebsfähigen Mülheimer MGT6D. Auch sie machten, zumindest äußerlich, einen ziemlich gammeligen Eindruck. und ich frage mich immer noch, wie man auf die hirnrissige Idee kommen konnte, diesen Fahrzeugtyp ohne Fahrerstandstür zu konstruieren:



Unter der schönen Gebäudedurchfahrt näherte sich der rosa Essener M8 Nr 1113 als Linie 104. Wie das Vorsteckschild "Abzw. Aktienstraße" deutlich zeigt, fährt er zum Flughafen. Und da wollte ich als nächstes hin:



Pinky aus Essen machte einen geringfügig gepflegteren Eindruck als seine Mülheimer Kollegen. Offenbar leiht man sich regelmäßig Essener Wagen aus, weil ja von den Mülheimern zahlreiche Wagen nicht betriebsfähig sind. Ich fuhr mit ihm bis zur Endstation Flughafen. Hier sollte mal irgendwann der Großflughafen fürs Ruhrgebiet entstehen, aber nach dem zweiten Weltkrieg wurde der Airport immer bedeutungsloser. An der Endhaltestelle war ich der einzige Fahrgast im Wagen. Und das ist nicht verwunderlich - an einer Seite der Strecke gibts überwiegend Landwirtschaft, und gegenüber gibts Villen für Leute, die ihre gepflegte Limousine niemals gegen eine siffige Straßenbahn tauschen würden:



Die Bahnen machten hier Kopf, das Gleisdreieck, was einst zum Wenden der Einrichtungswagen diente, wurde nicht mehr befahren:



Hier steppte der Bär. Ein Citaro wartete auf Einsätze...



Und vor dem Tower, wo die Fluglotsen von Skyguide sich vermutlich vor Arbeit kaum retten können, stehen Haltetafeln für Wagentypen, die es gar nicht mehr gibt:



Was war das doch damals ein schöner Betrieb - Wagen 228 an der Nordstraße, auf den Tag genau vor 25 Jahren, am 25. April 1987:



Mit diesem Bild schließe ich den ersten Teil, demnächst geht's weiter.

Mit freundlichen Grüßen
Ralph Dißinger a.k.a. Lokleitung