09. Dezember 2019 22:37
Beim Stichwort Stillstandsmanagement in Karsdorf im heutigen Türchen muss ich an den zugehörigen Artikel in der Mitteldeutschen Zeitung denken. Da wahrscheinlich niemand angemeldeter Leser der elektronischen Ausgabe ist, habe ich den Artikel vom September 2019 eingefügt.

MZ-Artikel

DB-Resale Darum warten alte Loks im Burgenlandkreis auf Käufer
Von Alexander Schierholz


Die Deutsche Bahn verscherbelt Loks, Waggons und Triebwagen, die eigentlich noch gut sind.
Rund 400 Loks und Waggons parken in Karsdorf und warten auf Käufer.
Warum der junge 628er am häufigsten zu finden ist.
Ein Besuch auf einer ganz speziellen Resterampe.

Neulich haben sie bei DB Resale sogar einen alten Fahrsimulator verkauft. Lokführer werden an solchen Geräten ausgebildet. Eisenbahnfans fahren ab auf so etwas. DB Resale, zu deutsch: Wiederverkauf, ist eine Abteilung bei der Deutschen Bahn, die im Internet alles verscherbelt, was sie im größten deutschen Verkehrskonzern nicht mehr brauchen können.

Neben Fahrsimulatoren können das auch Heizöltanks sein, Werkzeugmaschinen oder Baufahrzeuge. Und, nicht zu vergessen, natürlich ausrangierte Loks und Waggons. Ein Speisewagen gefällig, Typ R134.5, „34 Sitze im Restaurant, 11 Sitze im Bistro“? Oder vielleicht doch ein dieselbetriebener ICE? Eine Rarität – üblicherweise werden die Expresszüge der Bahn mit Strom angetrieben. Oder wie wäre es mit einem VT 628?

VT – was? Das Kürzel steht für Verbrennungstriebwagen, also für einen Diesel-Zug. Mit Ziffernkombinationen wie Sechs-Zwei-Acht kennzeichnen sie bei der Bahn ihre verschiedenen Zugtypen.

Der VT 628 ist ein zweiteiliger Nahverkehrstriebwagen, entwickelt in den 1970er Jahren, zu einer Zeit, als die Deutsche Bahn in der Bundesrepublik alt noch Bundesbahn hieß, gebaut bis in die 1990er Jahre. Als die ersten Exemplare in Dienst gestellt wurden, war rot noch nicht die Standardfarbe für Nahverkehrszüge.

Heute sind sie alle rot - und fallen umso mehr auf. Von der Straße zwischen Karsdorf und Burgscheidungen im Burgenlandkreis aus sieht man sie am besten – etliche Dutzend knallrote Züge, die die Bahn in der Nähe des Karsdorfer Zementwerkes abgestellt hat, einen hinter und neben dem anderen.

Was es damit auf sich hat, kann am besten Bertram Rudolph erklären. Auf seiner Visitenkarte steht „Leitung Train Parking“, er ist so etwas wie der Herr über die Züge in Karsdorf. Die Bahn hat sich auf dem Gelände eingemietet, im Bahner-Deutsch heißt die Zug-Resterampe „Stillstandsmanagement“. Es ist einer von fünf Standorten in Deutschland, neben Leipzig-Engelsdorf, Chemnitz, Mukran auf Rügen und Hamm in Westfalen.

Rund 400 ausrangierte Loks und Waggons aus ihrem Fuhrpark hat die Bahn allein in Karsdorf geparkt. Die meisten davon sind rote Nahverkehrstriebwagen vom Typ 628. Rudolph, 58, muss gleich mal mit einem Vorurteil aufräumen: „Was hier steht, ist kein Schrott!“ Der größte Teil der Züge sei für den Verkauf vorgesehen. Videokameras und Wachleute sollen rund um die Uhr dafür sorgen, dass sich niemand an den Fahrzeugen vergreift.

Die Sechs-Zwei-Achter sind zwischen 1987 und 1995 gebaut, also maximal 32 Jahre alt. Für einen Zug ist das kein Alter. Sie stammen aus allen Ecken der Republik. An einem Exemplar ist der Schriftzug „Westfrankenbahn“ zu lesen, an anderen pappen Aufkleber: „Rheinland-Pfalz-Takt“ oder „Bahnland Bayern“. Bis vor wenigen Jahren waren sie noch im Einsatz. Auf manchen prangen Graffiti, bei manchen ist der rote Lack stellenweise stumpf geworden. Doch alles in allem wirken sie äußerlich gut in Schuss.

Wie robust die Züge sind, macht Bertram Rudolph an einem Beispiel deutlich. Vor kurzem haben sie zwei Exemplare nach Kanada verkauft, nach sechs Jahren Standzeit. Das wirke lang, sagt der Bahnmanager, sei es aber nicht. „Wir haben die Züge in die Werkstatt geschleppt, betankt und die Batterien aufgeladen. Dann sind die gelaufen wie eine Eins.“ Er ist sichtlich stolz: „Das ist solide alte Eisenbahntechnik!“

Warum die Bahn die 628er trotzdem nicht mehr brauchen kann, wird deutlich, wenn man einsteigen will. Rudolph zieht einen Vierkant aus der Tasche, entriegelt die Schiebetür und öffnet sie. Der Blick fällt auf drei Stufen, die nach oben ins Innere führen. Die Triebwagen sind nicht barrierefrei. Das aber ist heute Usus.

In Deutschland sind die Bundesländer für den Schienennahverkehr zuständig. Sie schreiben den Betrieb von Strecken und Netzen aus und legen dafür bestimmt Standards fest. Barrierefreiheit gehört immer dazu. Mit den Sechs-Zwei-Achtern braucht die Bahn deshalb seit einigen Jahren bei Ausschreibungen gar nicht erst ankommen. Die Züge sind überflüssig geworden.

In anderen Ländern, in denen die Vorschriften nicht so streng sind, erfreuen sie sich aber noch großer Beliebtheit. Die Bahn sieht darin eine Chance. „Wir führen im Wochentakt Kaufinteressenten über das Gelände“, berichtet Rudolph. Die potenziellen Käufer können sich online anmelden, einen Termin vereinbaren, die Fahrzeuge besichtigen und aussuchen. „Gerade erst haben wir zwölf Züge verkauft, die gehen nächste Woche raus.“ Wie viel Umsatz der Konzern insgesamt mit dem Verkauf nicht mehr benötigter Loks, Waggons und Ausrüstungsgegenstände macht, verrät er nicht.

Die meisten Kunden in Karsdorf sind Zugbetreiber aus ganz Europa auf der Suche nach Fahrzeugen. Derzeit haben tschechische Firmen ein besonders großes Interesse an den roten Nahverkehrsflitzern. „Tschechien ist gerade der Markt schlechthin für 628er“, sagt Rudolph. Ein Teil der Züge ist sogar bereits zugelassen für das Schienennetz im Nachbarland.

Schön für Tschechien. Bei Pendlern hierzulande könnte angesichts der chronischen Knappheit im Fuhrpark der Deutschen Bahn die Frage aufkommen: Warum dienen die Sechs-Zwei-Achter nicht als Reserve, falls es irgendwo eng wird? So wie derzeit bei der S-Bahn in Halle, wo die Bahn wegen Fahrzeugmangels bis Ende Oktober zwischen Hauptbahnhof und Trotha einen Pendelverkehr mit alten Doppelstockwaggons eingerichtet hat.


Die Bahn hat ihren geplanten Börsengang schon vor Jahren abgeblasen, doch die Folgen wirken bis heute nach. Um finanziellen Ballast abzuwerfen, hat der Konzern damals seinen Fuhrpark zusammengestrichen. Ersatzzüge gibt es seitdem kaum noch, weder im Nah- noch im Fernverkehr.

Für letztere Sparte werde schrittweise wieder eine Ersatzflotte aufgebaut, sagt ein Bahnsprecher. Im Nahverkehr sei dies aber schwieriger. Zum einen wegen der von den Ländern gesetzten Standards, die viele ältere Zugtypen nicht erfüllten - Stichwort Barrierefreiheit. Zum anderen halte jeder Betreiber in der Regel nur das an Reserven vor, was im Vertrag verlangt werde. Sonst werde es zu teuer, und dann bekomme bei Ausschreibungen eben ein anderer Anbieter den Zuschlag. Das zeigt auch, dass es bei Nahverkehrsvergaben in erster Linie um die Kosten geht.

Die Karsdorfer Züge, so viel wird klar, taugen also nicht als Ersatz. Die Bahn wird sie weiterhin verkaufen. Ein Exemplar kann bis zu einer mittleren sechsstelligen Summe kosten, je nach Zustand und Laufleistung. „Jeder Zug ist begehrt“, sagt Bertram Rudolph, „es kommt nur auf den Preis an.“ Und falls nicht, kann er immer noch als Ersatzteilspender dienen. (mz)
Thema Autor Datum/Zeit

Der große Lokleitung-Adventskalender, Türchen 9 (1120 Klicks)

Lokleitung 09. Dezember 2019 20:52

» Re: Stillstandsmanagement Karsdorf (929 Klicks)

Erbsenzähler89 09. Dezember 2019 22:37



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