Meinst Du eigentlich, nur wer diese Wagen fahren muss, kann sich ein Urteil erlauben?
Dies hier ist ein Forum von Fuzzys für Fuzzys. Die dürfen das auch beurteilen! Was viele hier ständig durcheinander bringen ist "zeitgemäß" einerseits und die eher emotionale Seite, was das Fuzzytum betrifft.
Also erstens:
Ein GTN oder eine Variobahn mögen in Sachen Niederflur "zeitgemäß" sein. Ein Düwag der 500er Serie ist das dann halt nur im Mittelteil, und ein hochfluriger Düwag hier ist in dieser Hinsicht gar nicht mehr (aber nur deshalb, weil man in unserer Region - im Gegensatz z.B. von Bielefeld oder Stuttgart - nicht überall hohe Bahnsteige gebaut hat, um in den Hochflurkram stufenlos einsteigen zu können.
Zweitens:
Ein GTN oder eine Variobahn mögen in Sachen Fahrzeugsteuerung "zeitgemäß" sein, weil alles bequem elektronisch überwacht wird und man sich beim Beschleunigen oder Bremsen nicht viel Mühe geben muss - im Gegensatz zu den handgesteuerten Fahrzeugen der älteren Generationen. Die OEG-Düwags sind so das Zwischenglied, weil bei denen die Fahrschaltersteuerung elektronisch überwacht wird, meines Erachtens mit geringfügigen Abstrichen auf der Höhe der Zeit und durchaus zeitgemäß.
Ich oute mich hier (für die wenigen, die es noch nicht wissen) einerseits als Mitarbeiter eines Verkehrsbetriebes und andererseits als Fuzzy, der sein Hobby zum Beruf gemacht hat. Als Mitarbeiter des Verkehrsbetriebes stehe ich voll hinter den beiden oben genannten Punkten.
Aber als Eisenbahnfreund sehe ich das etwas anders:
Zu erstens:
Die alten Fahrzeuge bringen die Technik besser rüber, und sie haben so etwas wie einen eigenen "Charakter" (irgendjemand aus diesem Forum hat das mal "Seele" genannt).
Das ging so weit, dass ich z.B. bei den Düwags und den Bielefeldern deutliche Favoriten hatte, jeder war ein bisschen anders und auch bei den Mannheimer und Ludwigshafener Wagen, die ich damals zwar nicht fahren durfte, aber mit denen ich aufgewachsen bin, gab es viele kleine Details, die einen Wagen "schön" oder "hässlich" machten (ganz subjektiv!). Wenn man sieht, wie ein Teil dieser Fahrzeuge heute aussieht, dann blutet mir das Herz.
Ich finde zwar, dass auch die modernen Wagen gepflegt werden sollten, aber das sind einfach nur viele weitgehend gleiche Kisten, die sich im großen und Ganzen nicht unterscheiden und einfach "gleich" sind, da gibts nichts besonderes mehr dran.
Und zu zweitens:
Ich bin der Meinung, dass jemand, der einen handgeschalteten Wagen ordentlich bedienen kann, meistens auch einen modernen Wagen besser fährt, weil er einfach versteht, was er da tut und nicht einfach den Befehlsgeber ohne Gefühl nach vorne klatscht. Handschaltung ist für mich keine Anstrengung, sondern ein Automatismus, den ich irgendwann mal gelernt habe, und den ich beim Fahren anwende. Wenn ich dann höre, eine handgeschalteter Wagen sei nicht mehr "zeitgemäß", dann frage ich mich immer, wieso heutzutage noch so viele Autos ohne Getriebeautomatik verkauft werden.
Zum Thema Maschine:
Ich sehe einen Zug, eine Straßenbahn oder eine Lokomotive nicht als "Gebrauchsgegenstand, sonst nichts", sonst wärs nicht mein Hobby und sonst würde ich hier sicher nicht viel Zeit damit verbringen, herumzuargumentieren. Ich finde es äußerst schade, dass offensichtlich viele Kollegen im Fahrdienst so denken, aber das steht ihnen natürlich frei. Für mich hat die Bahn eine emotionale Seite - Autos zum Beispiel nicht. Ein Auto muss für mich nicht irgendwie aussehen oder alle möglichen Finessen haben, ein Auto ist ein Mittel zum Zweck, es muss fahren, darf nicht viel kosten und ansonsten interessiert es mich eher wenig.
Zum Thema Fahrerkabinen und Glühbirnen:
Die Glühbirnen sind natürlich auch so ein Reizthema; aber wenn man in LU Wagen mit Leuchtstoffröhren verschrotten kann scheinen die wohl nicht mehr so "zeitgemäß" zu sein. Als Fuzzy finde ich das weiche Licht der Glühbirnen natürlich schöner, wundere mich andererseits aber schon immer, wieso man in MA/LU noch bis 1971 Glühbirnenwagen beschafft hat, wo die ÖG schon elf Jahre zuvor Leuchtstoffröhren in ihre Wagen eingebaut hat.
Fahrerkabinen sind auch ganz nett, und man kann sowas ja auch in bestehende Fahrzeuge einbauen (wenn man will) - Die Heidelberger Wagen in Schöneiche sind ein gutes Beispiel. Als Fuzzy kann ich da nur sagen - die Fahrerkabinen aus den Küchenarbeitsplatten in den Heidelberger Doppeltraktionen fügen sich weniger harmonisch in das Düwag-Gesamtbild ein.
Und was ich sowohl als Fuzzy als auch als Fahrer völlig unzeitgemäß finde ist die Multigelenkkonstruktion unserer Wagen. Hier hat man sich halt zu Gunsten der großen Fahrgastkapazität durch die gute Ausnützung der Hüllkurve bei der Beschaffung für ein Übel entschieden, weil es offensichtlich keine Niederflurwagen ohne irgendwelche Krankheiten gibt - vielleicht mal abgesehen von den Freiburger Zweirichtungswagen, die halt nicht so viel Niederflur haben, aber dafür ordentliche Drehgestelle, die die Gleise schonen. Im Zusammenwirken mit der üblen Dämpfung und Federung sind da die GTN natürlich Vorreiter im Gleise demolieren, die V6 und RNVs scheinen ja ein wenig besser zu sein.
Und um zum Ausgangsthema zurückzukehren - ich find die Gt4 auch nicht gerade prickelnd, und das ist jetzt "Fuzzy-emotional" gesagt. Mir gefällt die Farbgebung nicht, und die Proportionen des Wagens an sich (und, wiederum ganz emotional, die Freiburger Gt4 gefallen mir gut). Ich bin auch schon mal mit den Wagen auf der Strecke der Linie 15 mitgefahren, aber mit einem Düwag oder mit einem Tatrawagen oder mit einem Stuttgarter Normalspur-Stadtbahnwagen hätte ich es besser gefunden (auch emotional). Mag ja sein, dass die Stuttgarter die Wagen bei der Beschaffung gut fanden, aber die haben damals ja auch Esslinger Kram kaufen müssen, wahrscheinlich aus dem selben Grund, warum man in Mannheim Busse von Mercedes-Benz kauft...
Mit freundlichen Grüßen
Ralph Dißinger a.k.a. Lokleitung